New work

(New) Work Life Balance

Gibt es noch ein Arbeits- und Privatleben?

Morgens wird der Laptop direkt nach dem Aufwachen angemacht; die ersten E-Mails werden zwischen Zähneputzen und Kaffee gelesen und abends bleibt der Laptop auch nach Feierabend eine Weile an, falls zu wichtigen Themen noch Rückmeldungen eintrudeln. Die zunehmende Nutzung von Informations- und Kommunikationsmedien in der Arbeitswelt lässt schon seit einigen Jahren die Grenzen zwischen Privatleben und Job verschmelzen. Auch die Covid-19-Pandemie hat dazu beigetragen, dass die vielerorts vorherrschenden Home Office-Regelung für Arbeitnehmer:innen die beiden Sphären noch weniger voneinander unterscheiden lassen. Vielleicht genießen Sie diese neue Flexibilität – oder Sie fühlen sich durch die verschwimmenden Grenzen überfordert.

März 2020: Tag 0 der Entgrenzung?

Spätestens seit Anfang 2020 ist für viele von uns Home Office kein Fremdwort mehr. Eine aktuelle Studie von Bolisani et. al. untersuchte im Zeitraum von März bis April 2020 die nach wie vor aktuelle working from home-Situation. 931 Teilnehmer:innen wurden dabei zu ihren Arbeitsumständen befragt, die sich im Home Office scheinbar stark verändert hatten:

So gaben die meisten Teilnehmer:innen an, mehr Stunden zu arbeiten als vor der Pandemie. Eine Vielzahl der Befragten empfand außerdem das Arbeiten von Zuhause als sehr fordernd. Sie bemängelten den fehlenden Kontakt zu Kolleg:innen und anderen Mitmenschen sowie die angestiegenen Bildschirm- und PC-Zeiten. Ihre Produktivität schätzen die Teilnehmer:innen dabei nicht weniger hoch ein als im Büro.

Auch eine Studie des Fraunhofer Instituts stützt diese Aussagen: Hier gaben 51% der Befragten an, dass ihre Produktivität im Home Office gleich geblieben sei. Bei knapp 39% war sie sogar gestiegen. Darüber hinaus ermittelte die Bolisani-Studie ganz eindeutig wahrgenommene Vorteile der derzeitig notwendigen Home Office -Situation:

Demnach begrüßten die Befragten die gesparte Zeit durch wegfallende Anfahrtswege zur Arbeitsstätte und somit die Möglichkeit mehr Zeit mit ihrer Familie zu Hause verbringen zu können. Als weitere Vorteile wurden die Möglichkeiten der eigenen Essenszubereitung genannt und die sinkende Ablenkung durch Kolleg:innen während der Arbeitszeit.

Privates & Job werden eins, unbemerkt.

Die Vermischung von Privatleben und Arbeit ist jedoch nicht erst seit Covid-19 im Fokus der Arbeitsforschung. Bereits 2007 äußerten sich Autor:innen des Artikels Entgrenzung von Arbeit und Leben: Gesellschaftliche Arbeitsteilung als Leistung der Person zu dem Thema kritisch. Laut den Autor:innen zeichnet sich ab, dass die jahrelang bestehende Trennung zwischen Arbeit und Leben aufgeweicht wird. Somit nimmt auch die kollektive Regulierung dieser Trennung ab und muss zu-nehmend durch das Individuum selbst vorgenommen werden. Als Grund für diese Entwicklung identifizierten sie einen Strukturwandel, welcher durch die Globalisierung, steigende Marktorientierung, den gesellschaftlichen Wandel sowie der Digitalisierung ausgelöst wird.

Die diagnostizierte „Entgrenzung von Arbeit und Leben“ bringt daher keineswegs nur neue Chancen für die Gestaltung eines „offeneren“ eigenen Lebens mit sich, sondern sie geht mit der Öffnung einer Grenze einher, die bislang den Bereich des Privaten schützte.

Jürgens & Voß, 2007.

Und wer hat was davon?

Die Vermischung ist also vor allem Folge von wirtschaftlichen und kulturellen Anforderungen, welche nicht ausschließlich zum Vorteil des Einzelnen sein können. Während Annehmlichkeiten des Home Offices nicht unter den Tisch gekehrt werden sollten, so birgt es doch auch einige Risiken für Arbeitnehmer:innen. Ein Working Paper der Hans Böckler-Stiftung hat neben Profiteur:innen so genannte Risikogruppen herausgearbeitet. Diese sind zunehmend gefährdet von Stress, Überarbeitung und Überforderung übermannt zu werden.

So können beispielsweise Arbeitnehmer:innen in seniorigeren Rollen sowie alleinstehende Personen die gewonnene Flexibilität und Autonomität besser nutzen als Beschäftigte mit Familienverantwortung oder Angestellte in juniorigeren Rollen. Auch Arbeitnehmer:innen, die sich gut mit Informations- und Kommunikationsmedien auskennen, können diese in der derzeitigen Entwicklung besser für sich nutzen als unerfahrenere Mediennutzer:innen. Durch die Vermischung von Arbeits- und Privatleben scheinen außerdem bei der Vereinbarkeit beider Sphären Frauen aktuell noch eher der Gefahr einer Doppelbelastung ausgesetzt zu sein als Männer.

Grenzen setzen!

Die Auseinandersetzung mit der Entgrenzung von Arbeit und Privatleben zeigt, wie komplex und ambivalent diese Entwicklung ist. Vor- und Nachteile von Home Office sowie flexiblen Arbeitszeiten müssen stets gegeneinander abgewogen werden und können als Teil einer New Work-Welt nur schwer mit vergangenen Arbeitsweisen verglichen werden. So muss unser allgemeines Verständnis für die unterschiedliche Empfindung von Annehmlichkeiten und Belastungen der Entwicklung wachsen. Ihre persönliche Wahrnehmung der Entgrenzung kann von derer Ihrer Kolleg:innen stark abweichen. Wichtig ist, dass wir Eigenverantwortung übernehmen und die für uns notwendige Abgrenzung zwischen Arbeit und Privatleben selbst in die Hand nehmen. Im Folgenden haben wir daher ein paar Denkanstöße zusammengefasst, wie Sie sich dem Thema nähern können:

Die strukturelle Entgrenzung von Arbeit und Privatleben werden wir nicht aufhalten können. Müssen wir aber auch gar nicht - denn schließlich kann diese Entwicklung Raum für mehr Flexibilität und auch effizientere Arbeitsweisen geben. Um von der Vermischung der beiden Sphären wirklich profitieren zu können und unsere mentale und physische Gesundheit zu schützen, liegt es an uns, notwendige, individuelle Grenzen zu ziehen und diese an unser Umfeld zu kommunizieren. Gleichzeitig müssen wir aber auch Verständnis für anders gesetzte Grenzen und Wahrnehmungen im Kolleg:innenkreis entwickeln.

Arthur Presle

Arthur Presle